Skip to content
Inhaltsverzeichnis

Einteilung der Hilfsmittel

Einteilung nach ISO 9999

Ausgehend vom „Nordic Classification System for Aids for Disabled Persons“ wurde durch die Norm ISO 9999Technical aids for disabled persons – Classification“ (Übernahme in das europäische Normenwerk unter EN ISO 9999) ein umfassendes international gültiges Klassifikationssystem für technische Hilfen für behinderte Menschen geschaffen. Die Norm ISO 9999 teilt Hilfsmittel durch drei Hierarchie-Ebenen ein: Classes, Subclasses und Divisions. Auf der obersten Hierarchie werden 10 Klassen (Classes) unterschieden und mit einem Code versehen. Um Platz für spätere Ergänzungen zu haben, wurde bis jetzt nur jeder dritte Code vergeben (Tabelle 1).

KlasseBezeichnung
03Aids for therapy and training
06Orthoses and prostheses
09Aids for personal care and protection
12Aids for personal mobility
15Aids for housekeeping
18Furnishings and adaptations to homes and other premises
21Aids for communication, information and signalling
24Aids for handling products and goods
27Aids and equipment for environmental improvement, tools and machines
30Aids for recreation

Tabelle 1: Klassen der ISO 9999

Beispiel für die Klassifizierung eines Telefon-Hörverstärkers mit der Codierung 21 36 21 (Tabelle 2).

Class21Aids for communication, information and signalling
Subclass36Telephones an telephoning aids
Division21Receiver amplifiers

Tabelle 2: Beispiel für eine Klassifizierung nach ISO 9999.

Für unsere Betrachtungen ist vor allem die Klasse 21 von Bedeutung. Sie wird in Tabelle 3 anhand von einigen Beispielen näher ausgeführt.

ClassSubclassDivision (nur 2 typische Beispiele/Subclass)
21Aids for communication, information and signalling03Optical aids03Spectacle lenses
27Field-of-vision expanders
06Opto-electronic aids03Image-enlarging video systems
06Character reading machines
09I/O devices and accessories for computers, typewriters and calculators07Alternative input devices
15Devices for synthetic speech
12Computers03Desktop computers
09Palm-top and pocket computers
15Typewriters and word processors12Manual Braille writers
18Software for word processing
18Calculators06Electronic calculators
12Software for calculation
24Aids for drawing and handwriting09Signature guides and stamps
15Braille writing equipment
27Non-optical reading aids03Page turners
06Book supports and book holders
30Audio recorders and receivers03Cassette tape recorders
12Index tone generators
33Television and video equipment03Television sets
09Decoders for videotext
36Telephones and aids for telephoning10Visual telephones, Videophones
21Receiver Amplifiers
39Sound transmission systems03Headphones
24FM-systems
42Face-to-face communication aids06Letter and/or symbol boards
12Voice generators
45Hearing aids03In-the-ear hearing aids
15Tactile hearing aids
48Aids for signalling and indicating12Light indicators
21Computer signal indicators
51Alarm systems06Attack alarms for epileptics
15Monitoring systems
54Books and reading materials03Talking books
09Braille books and materials

Tabelle 3: Beispiele für die Klassifikation von technischen Hilfen gemäß ISO 9999 (EN ISO 9999).

Einteilung nach der Wirkungsweise

Augmentative (verstärkende) Hilfsmittel

Darunter verstehen wir Hilfsmittel, die einen Reiz (eine Aktion) derart verstärken, dass dieser (diese) auch von einem, in seiner Leistung verminderten Organ, wahrgenommen (ausgeführt) werden kann. Abbildung 1 verdeutlicht die Funktionsweise an einem Beispiel. Der eintreffende Sinnesreiz kann von der behinderten Person wegen einer Schädigung des betreffenden Sinnesorgans nur in abgeschwächter Form wahrgenommen werden. Die Aufgabe des mit H bezeichneten Hilfsmittels ist es, den eintreffenden Reiz in geeigneter Weise so zu verstärken, dass er möglichst mit jener Intensität wahrgenommen werden kann, mit der ihn auch eine nicht behinderten Person empfunden hätte. Beispiele für augmentative Hilfsmittel sind Hörgeräte und Brillen.

Funktionsweise eines augmentativen (verstärkenden) Hilfsmittels.

Abbildung 1: Funktionsweise eines augmentativen (verstärkenden) Hilfsmittels [3].

Substituierende (ersetzende) Hilfsmittel

Substituierend werden Hilfsmittel bezeichnet, mit denen ein Reiz auf andere als die sonst üblichen Sinnesorgane umgeleitet wird. Das gleiche gilt auch dann, wenn eine Aktion (Bewegung oder Auslösung einer Bewegung) von anderen als den sonst üblichen aktuatorischen Organen gewonnen wird. Es kommt dabei zu einer Stellvertretung = Vikariat). Abbildung 2 zeigt eine Person, bei der die Wahrnehmung von optischen Reizen zufolge Blindheit nicht möglich ist. Das in der mittleren Grafik dargestellte Hilfsmittel H wandelt den optischen Reiz in geeigneter Weise in einen akustischen Reiz um und leitet ihn zum Gehör der blinden Person. In ähnlicher Weise zeigt die rechte Darstellung von Abbildung 2 die Umsetzung in einen taktil wahrnehmbaren Reiz. Beispiele für substituierende Hilfsmittel sind die Verwendung von Blindenschrift, die anstelle der Augen mit den Fingerspitzen gelesen wird und das Lippenlesen, bei dem die Augen Aufgaben übernehmen, die in der Regel von den Ohren wahrgenommen werden.

Funktionsweise eines substituierenden (ersetzenden) Hilfsmittels.

Abbildung 2: Funktionsweise eines substituierenden (ersetzenden) Hilfsmittels [3].

Inserierende (einfügende) Hilfsmittel

Darunter wollen wir Hilfsmittel verstehen, die einen unterbrochenen Teil einer Funktionskette ersetzen bzw. überbrücken, den Reiz (die Aktion) jedoch wieder dem ursprünglichen Organ bzw. dessen Nervenbahnen zuleiten. Die Grafik in Abbildung 3 stellt eine Person dar, die wegen eines vollständigen Funktionsausfalles des betreffenden Sinnesorgans nicht in der Lage ist, einen Reiz wahrzunehmen, egal ob dieser in üblicher oder in verstärkter Weise angeboten wird. Die Aufgabe des Hilfsmittel H ist es, den Reiz um die defekte Stelle so herumzuleiten, dass durch eine Stimulation der später liegenden Nervenbahnen ein Eindruck hervorgerufen wird, der den Auswirkungen des ursprünglichen Reizes möglichst nahe kommt. Beispiele für inserierende Hilfsmittel sind Cochlearimplantate und funktionelle Elektrostimulation.

Funktionsweise eines inserierenden (einfügenden) Hilfsmittels.

Abbildung 3: Funktionsweise eines inserierenden (einfügenden) Hilfsmittels [3].

Das Vikariat

Unter einem Vikariat (Stellvertretung) verstehen wir alle Maßnahmen, bei denen eine durch eine Schädigung ausgefallene Funktion durch eine andere ersetzt wird. Das Hilfsmittel hat dabei die Aufgabe, als Interface zur Umwelt die geeignete Transformation auszuführen.

Sensorisches Vikariat

Beim sensorischen Vikariat geht es um den Ersatz eines ausgefallenen Sinnesorgans durch ein anderes. Abbildung 4 verdeutlicht das anhand einer Schädigung der Augen, durch die visuelle Reize nicht mehr wahrgenommen werden können. Das im Bild mit „H“ bezeichnete Hilfsmittel hat die Aufgabe, den visuellen Reiz (das optische Signal aus der Umwelt) in einen taktilen (dem Tastsinn zugänglichen) Reiz umzuwandeln.

Wirkungsweise eines sensorischen Vikariats (Ersatz des Sehens durch Tasten).

Abbildung 4: Wirkungsweise eines sensorischen Vikariats (Ersatz des Sehens durch Tasten) [3].

Da die Leistung der einzelnen Sinnesorgane (die Bandbreite im weitesten Sinn) und auch die Art der über sie erfolgenden Wahrnehmung sehr verschieden ist, muss mit dem Hilfsmittel versucht werden, möglichst viele relevante Information zu vermitteln. Tabelle 4 zeigt eine Gegenüberstellung der „Bandbreiten“ der einzelnen Sinnesorgane. Daraus wird ersichtlich, mit welchen Einschränkungen beim Einsatz von Vikariaten gerechnet werden muss. Riechen und Schmecken kommen daher für Vikariate nicht in Betracht. Auch thermische Reize liefern nur geringe Bandbreiten.

SinnesorganBandbreite in bit/s
Sehen (Auge)106  bit/s
Hören (Ohr)104  bit/s
Tasten (Haut)102  bit/s
Riechen (Nase)<10  bit/s
Schmecken (Zunge)<10  bit/s

Tabelle 4: Bandbreiten der menschlichen Sinnesorgane [1, 2].

Aktuatorisches Vikariat

Das aktuatorische Vikariat ist in der entgegengesetzten Richtung wirksam, also vom Menschen zu Umwelt hin. Abbildung 5 zeigt das anhand einer Schädigung (des Fehlens) der oberen Extremitäten, zufolge der die Person nicht in der Lage ist, das Gewicht zu heben. Das in diesem Beispiel angenommene Hilfsmittel H empfängt Sprachkommandos und steuert eine Hebeeinrichtung an.

Wirkungsweise eines aktuatorischen Vikariats (Ersatz des Hebens durch Sprechen).

Abbildung 5: Wirkungsweise eines aktuatorischen Vikariats (Ersatz des Hebens durch Sprechen) [3].

Attribuierung/Zitierung

Möchten Sie dieses Buch zitieren, teilen oder bearbeiten? Dieses Buch ist unter Creative Commons Attribution-NonCommericial-ShareAlike 4.0 lizenziert.

Fremdes geistiges Eigentum ist entsprechend markiert bzw. zitiert und ist nicht Teil dieses Buches. Alle Angaben zur Attribuierung und Zitierung beziehen sich nur auf die Inhalte dieses Buches, die nicht aus fremden Quellen stammen.

Attribuierung

Wenn Sie dieses Buch bearbeitet oder unbearbeitet in gedruckter Form veröffentlichen bzw. verteilen wollen, muss auf jeder physischen Seite die folgende Attribuierung angegeben werden:

Kostenlos abrufbar unter .

Wenn Sie dieses Buch bearbeitet oder unbearbeitet in digitaler Form veröffentlichen bzw. verteilen wollen, muss auf jeder digitalen Seitenansicht die folgende Attribuierung angegeben werden:

Kostenlos abrufbar unter .

Zitierung

Benützen Sie folgende Informationen, um dieses Buch zu zitieren.

  • Autor: Dr. Wolfgang L. Zagler
  • Titel: Rehabilitationstechnik
  • Datum: 1. März 2008
  • Ort: Wien, Österreich
  • Buch URL:
  • Kapitel URL:

Abkürzungsverzeichnis

EN
Europäische Norm (European Standard)
ISO
International Organization for Standardization

Abbildungsverzeichnis

  • Abbildung 1: Funktionsweise eines augmentativen (verstärkenden) Hilfsmittels [3].

  • Abbildung 2: Funktionsweise eines substituierenden (ersetzenden) Hilfsmittels [3].

  • Abbildung 3: Funktionsweise eines inserierenden (einfügenden) Hilfsmittels [3].

  • Abbildung 4: Wirkungsweise eines sensorischen Vikariats (Ersatz des Sehens durch Tasten) [3].

  • Abbildung 5: Wirkungsweise eines aktuatorischen Vikariats (Ersatz des Hebens durch Sprechen) [3].


Tabellenverzeichnis

  • Tabelle 1: Klassen der ISO 9999

  • Tabelle 2: Beispiel für eine Klassifizierung nach ISO 9999.

  • Tabelle 3: Beispiele für die Klassifikation von technischen Hilfen gemäß ISO 9999 (EN ISO 9999).

  • Tabelle 4: Bandbreiten der menschlichen Sinnesorgane [1, 2].


Quellenverzeichnis