Einteilung der Hilfsmittel
Einteilung nach ISO 9999
Ausgehend vom „Nordic Classification System for Aids for Disabled Persons“ wurde durch die Norm ISO „Technical aids for disabled persons – Classification“ (Übernahme in das europäische Normenwerk unter EN ISO ) ein umfassendes international gültiges Klassifikationssystem für technische Hilfen für behinderte Menschen geschaffen. Die Norm ISO teilt Hilfsmittel durch drei Hierarchie-Ebenen ein: Classes, Subclasses und Divisions. Auf der obersten Hierarchie werden Klassen (Classes) unterschieden und mit einem Code versehen. Um Platz für spätere Ergänzungen zu haben, wurde bis jetzt nur jeder dritte Code vergeben (Tabelle 1).
Klasse | Bezeichnung |
---|---|
Aids for therapy and training | |
Orthoses and prostheses | |
Aids for personal care and protection | |
Aids for personal mobility | |
Aids for housekeeping | |
Furnishings and adaptations to homes and other premises | |
Aids for communication, information and signalling | |
Aids for handling products and goods | |
Aids and equipment for environmental improvement, tools and machines | |
Aids for recreation |
Tabelle 1: Klassen der ISO
Beispiel für die Klassifizierung eines Telefon-Hörverstärkers mit der Codierung (Tabelle 2).
Class | Aids for communication, information and signalling | |
---|---|---|
Subclass | Telephones an telephoning aids | |
Division | Receiver amplifiers |
Tabelle 2: Beispiel für eine Klassifizierung nach ISO .
Für unsere Betrachtungen ist vor allem die Klasse von Bedeutung. Sie wird in Tabelle 3 anhand von einigen Beispielen näher ausgeführt.
Class | Subclass | Division (nur typische Beispiele/Subclass) | |||
---|---|---|---|---|---|
Aids for communication, information and signalling | Optical aids | Spectacle lenses | |||
Field-of-vision expanders | |||||
Opto-electronic aids | Image-enlarging video systems | ||||
Character reading machines | |||||
I/O devices and accessories for computers, typewriters and calculators | Alternative input devices | ||||
Devices for synthetic speech | |||||
Computers | Desktop computers | ||||
Palm-top and pocket computers | |||||
Typewriters and word processors | Manual Braille writers | ||||
Software for word processing | |||||
Calculators | Electronic calculators | ||||
Software for calculation | |||||
Aids for drawing and handwriting | Signature guides and stamps | ||||
Braille writing equipment | |||||
Non-optical reading aids | Page turners | ||||
Book supports and book holders | |||||
Audio recorders and receivers | Cassette tape recorders | ||||
Index tone generators | |||||
33 | Television and video equipment | Television sets | |||
Decoders for videotext | |||||
Telephones and aids for telephoning | Visual telephones, Videophones | ||||
Receiver Amplifiers | |||||
Sound transmission systems | Headphones | ||||
FM-systems | |||||
Face-to-face communication aids | Letter and/or symbol boards | ||||
Voice generators | |||||
Hearing aids | In-the-ear hearing aids | ||||
Tactile hearing aids | |||||
Aids for signalling and indicating | Light indicators | ||||
Computer signal indicators | |||||
51 | Alarm systems | Attack alarms for epileptics | |||
Monitoring systems | |||||
Books and reading materials | Talking books | ||||
Braille books and materials |
Tabelle 3: Beispiele für die Klassifikation von technischen Hilfen gemäß ISO (EN ISO ).
Einteilung nach der Wirkungsweise
Augmentative (verstärkende) Hilfsmittel
Darunter verstehen wir Hilfsmittel, die einen Reiz (eine Aktion) derart verstärken, dass dieser (diese) auch von einem, in seiner Leistung verminderten Organ, wahrgenommen (ausgeführt) werden kann. Abbildung 1 verdeutlicht die Funktionsweise an einem Beispiel. Der eintreffende Sinnesreiz kann von der behinderten Person wegen einer Schädigung des betreffenden Sinnesorgans nur in abgeschwächter Form wahrgenommen werden. Die Aufgabe des mit H bezeichneten Hilfsmittels ist es, den eintreffenden Reiz in geeigneter Weise so zu verstärken, dass er möglichst mit jener Intensität wahrgenommen werden kann, mit der ihn auch eine nicht behinderten Person empfunden hätte. Beispiele für augmentative Hilfsmittel sind Hörgeräte und Brillen.
Substituierende (ersetzende) Hilfsmittel
Substituierend werden Hilfsmittel bezeichnet, mit denen ein Reiz auf andere als die sonst üblichen Sinnesorgane umgeleitet wird. Das gleiche gilt auch dann, wenn eine Aktion (Bewegung oder Auslösung einer Bewegung) von anderen als den sonst üblichen aktuatorischen Organen gewonnen wird. Es kommt dabei zu einer Stellvertretung = Vikariat). Abbildung 2 zeigt eine Person, bei der die Wahrnehmung von optischen Reizen zufolge Blindheit nicht möglich ist. Das in der mittleren Grafik dargestellte Hilfsmittel H wandelt den optischen Reiz in geeigneter Weise in einen akustischen Reiz um und leitet ihn zum Gehör der blinden Person. In ähnlicher Weise zeigt die rechte Darstellung von Abbildung 2 die Umsetzung in einen taktil wahrnehmbaren Reiz. Beispiele für substituierende Hilfsmittel sind die Verwendung von Blindenschrift, die anstelle der Augen mit den Fingerspitzen gelesen wird und das Lippenlesen, bei dem die Augen Aufgaben übernehmen, die in der Regel von den Ohren wahrgenommen werden.
Inserierende (einfügende) Hilfsmittel
Darunter wollen wir Hilfsmittel verstehen, die einen unterbrochenen Teil einer Funktionskette ersetzen bzw. überbrücken, den Reiz (die Aktion) jedoch wieder dem ursprünglichen Organ bzw. dessen Nervenbahnen zuleiten. Die Grafik in Abbildung 3 stellt eine Person dar, die wegen eines vollständigen Funktionsausfalles des betreffenden Sinnesorgans nicht in der Lage ist, einen Reiz wahrzunehmen, egal ob dieser in üblicher oder in verstärkter Weise angeboten wird. Die Aufgabe des Hilfsmittel H ist es, den Reiz um die defekte Stelle so herumzuleiten, dass durch eine Stimulation der später liegenden Nervenbahnen ein Eindruck hervorgerufen wird, der den Auswirkungen des ursprünglichen Reizes möglichst nahe kommt. Beispiele für inserierende Hilfsmittel sind Cochlearimplantate und funktionelle Elektrostimulation.
Das Vikariat
Unter einem Vikariat (Stellvertretung) verstehen wir alle Maßnahmen, bei denen eine durch eine Schädigung ausgefallene Funktion durch eine andere ersetzt wird. Das Hilfsmittel hat dabei die Aufgabe, als Interface zur Umwelt die geeignete Transformation auszuführen.
Sensorisches Vikariat
Beim sensorischen Vikariat geht es um den Ersatz eines ausgefallenen Sinnesorgans durch ein anderes. Abbildung 4 verdeutlicht das anhand einer Schädigung der Augen, durch die visuelle Reize nicht mehr wahrgenommen werden können. Das im Bild mit „H“ bezeichnete Hilfsmittel hat die Aufgabe, den visuellen Reiz (das optische Signal aus der Umwelt) in einen taktilen (dem Tastsinn zugänglichen) Reiz umzuwandeln.
Da die Leistung der einzelnen Sinnesorgane (die Bandbreite im weitesten Sinn) und auch die Art der über sie erfolgenden Wahrnehmung sehr verschieden ist, muss mit dem Hilfsmittel versucht werden, möglichst viele relevante Information zu vermitteln. Tabelle 4 zeigt eine Gegenüberstellung der „Bandbreiten“ der einzelnen Sinnesorgane. Daraus wird ersichtlich, mit welchen Einschränkungen beim Einsatz von Vikariaten gerechnet werden muss. Riechen und Schmecken kommen daher für Vikariate nicht in Betracht. Auch thermische Reize liefern nur geringe Bandbreiten.
Sinnesorgan | Bandbreite in |
---|---|
Sehen (Auge) | |
Hören (Ohr) | |
Tasten (Haut) | |
Riechen (Nase) | |
Schmecken (Zunge) |
Tabelle 4: Bandbreiten der menschlichen Sinnesorgane [1, 2].
Aktuatorisches Vikariat
Das aktuatorische Vikariat ist in der entgegengesetzten Richtung wirksam, also vom Menschen zu Umwelt hin. Abbildung 5 zeigt das anhand einer Schädigung (des Fehlens) der oberen Extremitäten, zufolge der die Person nicht in der Lage ist, das Gewicht zu heben. Das in diesem Beispiel angenommene Hilfsmittel H empfängt Sprachkommandos und steuert eine Hebeeinrichtung an.
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- Autor: Dr. Wolfgang L. Zagler
- Titel: Rehabilitationstechnik
- Datum: 1. März 2008
- Ort: Wien, Österreich
- Buch URL:
- Kapitel URL:
Abkürzungsverzeichnis
- EN
- Europäische Norm (European Standard)
- ISO
- International Organization for Standardization
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Funktionsweise eines augmentativen (verstärkenden) Hilfsmittels [3].
Abbildung 2: Funktionsweise eines substituierenden (ersetzenden) Hilfsmittels [3].
Abbildung 3: Funktionsweise eines inserierenden (einfügenden) Hilfsmittels [3].
Abbildung 4: Wirkungsweise eines sensorischen Vikariats (Ersatz des Sehens durch Tasten) [3].
Abbildung 5: Wirkungsweise eines aktuatorischen Vikariats (Ersatz des Hebens durch Sprechen) [3].
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Klassen der ISO
Tabelle 2: Beispiel für eine Klassifizierung nach ISO .
Tabelle 3: Beispiele für die Klassifikation von technischen Hilfen gemäß ISO (EN ISO ).
Tabelle 4: Bandbreiten der menschlichen Sinnesorgane [1, 2].
Quellenverzeichnis
[1]: The Information Capacity of the Human Fingertip (Kenneth Kokjer, DOI: 10.1109/tsmc.1987.289337)
[2]: Automatic visual to tactile translation. I. Human factors, access methods and image manipulation (T.P. Way, K.E. Barner, DOI: 10.1109/86.559353)
[3]: Rehabilitationstechnik (Wolfgang L. Zagler - CC-NC-SA 4.0)